Das Märchen von der kleinen Straßenbahn

 

Am Ende des 19.Jahrhunderts lebte ein reicher Kaufmann namens Hansen in Bremen. Mit seinen großen Schiffen befuhr er alle sieben Weltmeere. An einem schönen Spätsommertag nun lief er auf dem Heimatweg  in den prächtigen Hafen von Lissabon ein.  Während einige seiner Waren  gelöscht wurden, ging er zum Abendessen in das Haus eines befreundeten Kaufmannes. Dort wurde er herzlich begrüßt und reich bewirtet. 

Als sie nach dem Essen bei einem Glas Portwein beisammensaßen, fiel Herrn Hansen eine kleine Trambahn auf dem Kaminsims auf und er befragte seinen Freund, welche Bewandtnis es mit ihr habe. Herr Oliveira, so hieß der portugiesische Kaufmann, erzählte diese kleine Bahn sei allerdings ein besonderes Exemplar. Einer seiner Angestellten habe sie eines Morgens unter einer auf dem Abstellgleis stehenden älteren Straßenbahn gefunden und die eigenartige Meinung geäußert, es handle sich gewissermaßen um die Nachkommenschaft der fast ausrangierten Bahn. Er könne sie gerne als Andenken an Lissabon mit nach Hause nehmen, schloss Herr Oliveira. 

So kehrte Herr Hansen nach langer Fahrt in den heimatlichen Hafen zurück und stellte die kleine Trambahn neben andere Andenken auf ein wuchtiges Bücherregal, dort wurde diese von vielen Besuchern, die in sein Haus kamen, bewundert. 

Im folgenden Jahr bekam er eine reich verzierte elektrische Lampe von seiner Frau geschenkt, die er stolz auf die moderne Errungenschaft neben dem Modell platzierte. Eines Abends aber stolperte der Kaufmann über das Kabel der Lampe und sie fiel auf die Miniaturbahn, dass diese vom Strom Funken sprühte. Herr Hansen ging etwas betrübt über die beschädigte Lampe schlafen.

 Wie groß aber war seine Überraschung, als er am nächsten Morgen  sein Arbeitszimmer betrat und sein großes Eichenregal zusammengebrochen war . Mitten im Raum aber stand seine nun vielfach größere Trambahn.  

Da er sich keinen Reim auf die merkwürdige Veränderung machen konnte, ließ er nach einem befreundeten Ingenieur schicken, der auch sogleich kam. Dieser war zwar genauso ratlos versprach aber sich auf das genaueste zu informieren, wie es zu einer solchen Verwandlung kommen könne. 

In der kommenden Nacht zogen sich mächtige Gewitterwolken über der Stadt zusammen. Kaum aber zuckte der erste Blitz kam Bewegung in die Tram, sie rollte auf den Flur hinaus und versuchte die Haustür aufzustoßen. Dies gelang ihr zunächst nicht, statt dessen bekam sie von dem Aufprall vorne eine Delle an ihrer Stoßstange. Dennoch versuchte sie es ein zweites Mal in schnellere Fahrt und konnte die Tür aufbrechen. Sie rollte hinaus auf die Straße gerade als krachend ein Blitz niederging.

  Am folgenden Morgen, als einige Straßenzüge entfernt die ersten Arbeiter noch etwas verschlafen zur Frühschicht gehen wollten, blieben sie verwundert an einer großen Kreuzung stehen. Denn mitten darauf stand eine nagelneue Straßenbahn - allerdings ohne dass irgendwo Gleise zu sehen waren.

Sogleich wurde ein Wachtmeister gerufen, der jedoch genauso fassungslos vor der großen Trambahn stand. Statt dessen kam der Hausdiener von Herrn Hansen angelaufen, im Hause seines Herrn sei eingebrochen worden. Dann fiel sein Blick auf die Straßenbahn: "Das ist ja die Bahn die in unserem Haus entwendet wurde. Aber nein, sie ähnelt ihr nur."

Der Wachtmeister, mittlerweile völlig verwirrt, ging mit dem Diener zu dem Haus des Kaufmannes, wo er mit dem  Ingenieur zusammenstieß, der gerade seinem Freund das Ergebnis seiner Studien zu der merkwürdigen Verwandlung der Trambahn mitteilen wollte. So gingen sie alle ins Haus hinein zu dem seinerseits aufgeregten Herrn Hansen. Nachdem  jeder seinen Teil der Geschichte erzählt hatte, kamen sie zu der Auffassung, dass es sich da draußen tatsächlich um die kleine Lissabonner Tram handelte, die sich wohl durch die Elektrizität eines Blitzschlages in einen richtigen Straßenbahnzug verwandelt hatte. 

Was aber sollte eine Straßenbahn in Bremen ohne dass es eine einzige Gleisstrecke gab?  Der Fall kam vor den Senat und dieser beschloss  für die Straßenbahn vom Marktplatz bis an den Stadtrand Gleise zu bauen.

 So fahren bis heute in Bremen die Straßenbahnen und achtet einmal darauf: vielleicht fährt von Zeit zu Zeit sogar noch jene erste mit der  Beule vorne an der Stoßstange.

                 © 2002-Th.S.-HH

 

 

 

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